5. Stück: „Nathan der Weise“ im Thalia Theater am 08.März 2010

Was man alles falsch machen kann …

Innerhalb weniger Tage habe ich qualitativ vollkommen auseinander driftende Aufführungen besucht. „Faust I / II“ von den jungen Schauspielern von Torsten Diehls Schauspieltraining im monsun theater war herausragend, „Nathan der Weise“ im Thalia Theater von den gestandenen Profis unterirdisch.

Es tut mir sehr leid, aber diese Aufführung war eine absolute Katastrophe. Dabei hatte ich einige Schauspieler bereits in anderen Produktionen gesehen, wo sie hervorragend gespielt hatten. Ich weiß nicht woran es liegt, ob der Regisseur Nicolas Stemann sie nicht gut durch das Stück geführt hat, ob sie einfach im Ensemble nicht miteinander klar kamen, ob sie an dem Abend vor der Aufführung alle zuviel Valium genommen hatten, ich weiß es nicht. Jedenfalls waren sie unkonzentriert, unpräzise und unmotiviert und man hatte nicht den Eindruck, sie wüssten was sie da tun und warum eigentlich. Schlimmer noch, es wirkte, als wäre es ihnen egal.

Und dass mir jetzt keiner kommt mit „Vielleicht war das ja Absicht.“ Man merkt, ob es Absicht ist oder einem aus Versehen irgendwie passiert. Absicht ist klar, präzise und gewollt. Versehen ist schwammig und unkonkret. Und es war schwammig und unkonkret. Besonders schmerzlich klar wurde diese Unklarheit beim Chorsprechen. Das tat wirklich weh! Das war im wahrsten Sinne des Wortes pein-lich! Ui, hab ich mich fremd geschämt! Das war ein lustloses Auseinanderklötern sondergleichen, als täten sie das zum ersten Mal!

Dann war da noch die Figur der Recha. Oh je. Die tauchte dann immer so irgendwann irgendwie auf und sonderte Text ab. Mit einem Pathos und einem Kitsch – und da habe ich ja im 3. Stück meines Blogs schon erzählt, was ich davon halte. Wenn jemand wissen will, was genau ich meinte – und sich im Theater gerne unendlich quält – der sollte sich dieses theatrale Missgeschick zu Gemüte führen. Und gelispelt hat sie auch noch. Nein, kein Stilmittel. Versehen.

Dabei fing alles noch ganz harmlos an. Langweilig zwar und anstrengend, aber harmlos. Ich war noch offen. Ich habe sogar die Teenager, die neben mir saßen, laut gequatscht und mit ihren Handys gespielt haben, ange“pssst“. Das mach ich sonst nicht. Jedenfalls war ich in der idealen Zuschauerhaltung des Neugierig-Gespannt-seins. Und dann hörte man den Nathan-Text von einer Frau und einem Mann gesprochen über einen Lautsprecher auf der ansonsten leeren Bühne. Na ja, fast leer, da standen so Instrumente und Kerzen in der Gegend rum. Die Kerzen wurden irgendwann angezündet, warum weiß keiner und hinter die Instrumente haben sich irgendwelche Leute gesetzt, auch da blieb der Zweck schleierhaft. Ja. Und so ging das dann für – ich weiß nicht – 20 Minuten? Gefühlte 2 Stunden jedenfalls. Ich hatte schon Befürchtungen, ich könnte hier nichts darüber schreiben, weil ich einzuschlafen drohte.

Aber dann wurde es schlimmer.

Kennen Sie das, wenn etwas SO langweilig ist, dass es schon nicht mehr langweilig ist, sondern ärgerlich, quälend und agressionsweckend? Genau.

So, dann haben die Schauspieler also ihren Kram da veranstaltet und dann kam aus unerfindlichem Grund ein völlig anderer Text von Elfriede Jelineks „Abraumhalde“. Den hat die Recha-Darstellerin vor sich hin dilettiert. Es ging wohl irgendwie um Wahrheit oder so. Irgendwas Belangloses, Unoriginelles, was man schon tausend Mal gehört hat. Dann wurde die Bühne plötzlich rot durchleuchtet und alle liefen hin und her und hatten plötzlich Maschinenpistolen in den Händen und verschiedene Religionssymbole umgehängt. Aha. Religionskritik. Darum geht es also. Das erfährt man dann gegen Ende des Stücks. Zum Glück wird diese Religionskritik mit einer derart unsubtilen Holzhammermetaphorik den Zuschauern vor den Latz geknallt, das selbst der allerdämlichste Idiot mitbekommt, dass Krieg böse ist und Religion nicht als Rechtfertigung desselben herhalten sollte. Gut zu wissen. Wäre ich von alleine nicht drauf gekommen.

Die Aufführung war zwar wirklich furchtbar, aber dennoch interessant. Man konnte nämlich wunderbar sehen, was man bei so einer Theateraufführung alles falsch machen kann: Unmotiviertheit, mangelnde Präzision und Konzentration, Pathos und Kitsch als Versehen, statt als bewusstes Stilmittel, Unbewusstheit (nicht wissen, was man tut), Überflüssiges, Banales und dann auch noch die Holzhammermetaphorik.

Was war da bloß los …

(Isabelle Dupuis)

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Eine Antwort zu “5. Stück: „Nathan der Weise“ im Thalia Theater am 08.März 2010

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